Sexuelle Übergriffe bei Konzert Theater Bern
Der Probenleiter des Tanzensembles von Konzert Theater Bern soll gemäss Recherchen der «Zeit» Tänzerinnen sexuell belästigt haben. Diese Geschichte zeigt, dass manche Häuser noch immer oft erst ihren Ruf, dann den Täter und erst ganz am Schluss ihre Tänzer*innen schützen. Es herrscht ein Klima der Angst.
Kurz die Geschichte zusammengefasst: Der Probenleiter des Ensembles Bühnen Bern fiel immer wieder durch verbale Entgleisungen auf, auch körperliche Übergriffe wurden genannt. In den Lokalredaktionen von „Bund“ und „Berner Zeitung“ wusste man schon länger von den Vorkommnissen. (Hier die ganze Geschichte bei Tamedia (Abo+) und bei der Zeit Schweiz (Paywall) )
Zitat Tagesanzeiger/Bund heute, 29. 09.22: „Die Redaktion von «Bund» und «Berner Zeitung» hatte schon seit längerem Kenntnis von diesen Vorwürfen. Recherchen im Umfeld des Ballettensembles haben verschiedene Überschreitungen des Probenleiters zutage gebracht. Der Redaktion liegen mehrere Dokumente vor, die das nahelegen. Es geht um unangebrachte Avancen, verbale sexuelle Belästigungen und körperliche Übergriffe.“
Hier der Beitrag von Radio Bern1:
Wenn eine solche Geschichte bereits in den Redaktionen bekannt ist, dann bedeutet das, dass man innerhalb der betroffenen Branche meist schon viel länger davon wusste. Und da liegt das Problem.
Untersuchung ohne Konsequenzen
Wieso wurde nicht früher veröffentlicht? Der Probenleiter ist eine wichtige Persönlichkeit in diesem Setting. Tänzerinnen, die sich gegen Übergriffe wehren, müssen mit Konsequenzen für ihre Karriere rechnen. So fürchten sie sich, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und damit haben sie auch Recht, solange sich nichts ändert.
Im vorliegenden Fall hat sich eine Betroffene an die Leitung gewandt. Der Probenleiter wurde während der Untersuchung für zwei Monate freigestellt. Der Untersuchungsbericht einer externen Beraterfirma kam gemäss der «Zeit» zum Schluss, dass es zu verbalen Belästigungen gekommen sei. Der Verdacht, dass es auch körperliche Übergriffe gegeben habe, lasse sich allerdings nicht erhärten, heisst es weiter. Im Tanzberuf seien, anders als in einem Bürojob, «körperliche Berührungen und Umarmungen normal». Der Bericht hatte keine einschneidenden Konsequenzen zur Folge. Der Täter blieb an der Macht.
Schweigevereinbarung unterzeichnen
Nach Abschluss der Untersuchung wurde der Probenleiter verwarnt, durfte aber an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Wieso jemand im Jahre 2022, nachdem ihm verbale sexuelle Übergriffe nachgewiesen wurden und körperliche Übergriffe im Raum standen, seinen Job behalten durfte, ist nicht nur den betroffenen jungen Frauen ein Rätsel. Aber man kommt vielleicht darauf, wenn man erfährt, dass die Betroffenen, die Abschlussbericht der Beraterfirma anschauen wollten, einen „Knebelvertrag“, also eine Stillschweigevereinbarung unterzeichnen mussten.
ÄHNLICHE ERFAHRUNGEN GEMACHT? Hier anonym bei SzeneSchweiz melden!
Dass die ganze Geschichte trotzdem den Weg an die Öffentlichkeit fand, ist ehemaligen Ensemble-Mitgliedern zu verdanken, die die Aussagen der Betroffenen gegenüber der Zeit bestätigten. Dies braucht, selbst anonym, Mut. Die Szene ist nicht so gross, so dass sich immer Rückschlüsse auf die Personen ziehen lassen. Und das kann auch bei anderen Häusern zu einem Zögern führen, da diese Tänzer*innen dann als „schwierig“ gelten. Weil sie sich in einem traditionell streng hierarchischen Arbeitsumfeld für ihre Rechte wehren. Eine Geisteshaltung aus dem letzten Jahrhundert.
Spitze des Eisbergs
Die Stillschweigevereinbarung zeigt deutlich, dass es sich um ein strukturelles Problem und nicht um einen Einzelfall handelt. In den Köpfen vieler Direktionen gilt noch immer, dass die Reputation des Hauses über dem Wohlergehen der Tänzer*innen steht, dass Stars mehr Rechte haben als das Ensemble. Salva Leutenegger, Geschäftsführerin von SzeneSchweiz dazu: An allen festen Häusern sind die Tänzer:innen, diejenigen, die am meisten arbeiten, am wenigsten verdienen und am schlechtesten vor Machtmissbrauch geschützt sind. Und die Leitungen schauen so lange zu, bis diese Fälle an die Öffentlichkeit kommen. Das muss sich ändern. Es braucht flache Hierarchien, ein wertschätzender Umgang und griffige Massnahmen gegen Machtmissbrauch.“
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