FemaleAct – setzt sich für gelebte Diversität in der Schweiz ein

Ende 2018 entstand die Idee zwischen mehreren Schauspieler*innen, einen Stammtisch zum professionellen Austausch anzubieten. Nachdem der erste erfolgreich stattgefunden hatte, entstand daraus der Verein FemaleAct. Zwischen drei bis zehn Personen nehmen jeweils am monatlich stattfindenden Stammtisch teil. Seit kurzem ist der Stammtisch offen für alle Geschlechter und Berufsgattungen, davor wurde er nur für als Frauen gelesene Personen angeboten.

Nebst dem direkten Austausch vor Ort gibt es zwei Chats, der eine fungiert als Jobbörse, der andere ist für pragmatische Fragen gedacht, bezogen auf Verträge, Gagenverhandlungen oder einfach als Plattform für unmittelbare Beratung bezüglich eines Engagements. Es geht auch darum, sich gegenseitig zu bestärken und durch eigene Erfahrungen Unsicherheiten zu beseitigen. Und vor allem geht es darum, eine Community, denn der Beruf der Schauspieler*in werde ganz grundsätzlich strukturell ausgespielt. „Deutschland fing schon etwa früher damit an, Netzwerke zu bilden, Informationen austauschen. Der Austausch innerhalb der Community förderte das, als Schauspieler*in hat man sonst eher einen Einzelkämpfer-Status!“, meint FemaleAct. Besonders wichtig sei es, untereinander die Solidarität zu pflegen, davon sind insbesondere die älteren und erfahreneren Schauspieler*innen überzeugt. Man müsse sich gegen Vereinzelung, welche im System internalisiert ist, wehren und Falschinformationen, wie auch Konkurrenzkämpfe vermeiden. „Und das betrifft bei weitem nicht nur Frauen“.

„Deutschland fing schon etwa früher damit an, Netzwerke zu bilden, Informationen austauschen. Der Austausch innerhalb der Community förderte das, als Schauspieler*in hat man sonst eher einen Einzelkämpfer-Status!“

FemaleAct

Der Verein FamaleAct steht für unterschiedliche Perspektiven des entsprechenden Berufsfeldes. „Es geht nicht nur um Frauenrollen, wir wollen unsere Gesellschaft in Ihrer Vielfältigkeit darstellen – quasi die Realität aufzeigen, denn diese ist vielfältiger als das, was wir auf der Leinwand oder auf der Bühne oft sehen.“ Durch lebensnahe Figuren und Geschichten soll ein diverses Publikum angesprochen werden.

„Es geht nicht nur um Frauenrollen, wir wollen unsere Gesellschaft in Ihrer Vielfältigkeit darstellen – quasi die Realität aufzeigen, denn diese ist vielfältiger als das, was wir auf der Leinwand oder auf der Bühne oft sehen.“

Die Mitglieder von FemaleAct beobachten, dass es für Theater nicht immer leicht ist, aus gewohnten Erzählmustern und betrieblichen Abläufen auszubrechen. Um die internen Strukturen an Häusern genau unter die Lupe zu nehmen und herauszufinden, wie konkret darauf hingewirkt werden kann, dass auf der Bühne lebensnahe Figuren und Erzählungen zu sehen sind, entwickelt FemaleAct eine Toolbox für Theaterbetriebe.

it höherem Alter haben die Schauspielerinnen somit zwar mehr Erfahrung und sind wesentlich versierter in ihrem Beruf, haben aber drastisch weniger Angebote. Das ist ein riesiger Misstand.

Für die Entwicklung dieser Toolbox wurden die Forschungsergebnisse von der Universität Rostock 2017 zur Studie „Gender Diversität in audiovisuellen Medien“ der Malisa Stiftung beigezogen. In der Schweiz gibt es keine vergleichbaren Zahlen, deshalb wurde sie mitangeführt. In fiktionalen und nicht-fiktionalen Fernseh -und Kinoproduktionen wurde verglichen, wer in welchen Positionen vorkommt, welches Geschlecht die Protagonist*innen jeweils haben und welche Altersverteilung vorherrscht. Es wurde beispielsweise erkennbar, dass Frauen ab 40 Jahren komplett aus dem Bereich verschwinden, bei den Männern geht die Kurve dagegen ab diesem Altersgrad hoch. Mit höherem Alter haben die Schauspielerinnen somit zwar mehr Erfahrung und sind wesentlich versierter in ihrem Beruf, haben aber drastisch weniger Angebote. Das ist ein riesiger Misstand. Es fragt sich hierzu, wer wird sichtbar gemacht und wer verschwindet von der beruflichen Bildfläche? Für Theater liegen solch fundierte Zahlen (noch) nicht vor, doch erfahrungsgemäss wirken dort ähnliche Ausschlussmechanismen.

Daraus entstand die Idee, eine Toolbox zur Selbstanalyse für Theaterbetriebe zu erarbeiten.

Das Vorbild im Umgang mit solchen Missständen ist Schweden. Hier ist die Gleichstellung auf gesetzlicher Ebene viel verbindlicher und fest verankert, in der Schweiz ist das derzeit noch nicht der Fall. Die Wirtschaft und auch der kulturelle Sektor ist dort dazu verpflichtet, Bedingungen zu schaffen, die Gleichstellung fördern. Dementsprechend sind auch Kulturbetriebe verpflichtet, das zu überprüfen und rückzumelden – hierfür gibt es besondere Instrumente zur Überprüfung und Ratings, was sich auf die Vergabe von den Fördergeldern auswirkt. „Als wir das gehört haben, war das sehr inspirierend! Es war beeindruckend zu sehen, dass das bereits so fest im System verankert ist. Wir fragten uns dann, wie man das auf die Schweiz übertragen kann.“, meint FemaleAct. Daraus entstand die Idee, eine Toolbox zur Selbstanalyse für Theaterbetriebe zu erarbeiten.

Wichtige Fragestellungen waren dabei:

Wie ist die Geschlechterverteilung an unterschiedlichen Positionen?

Wie sieht das künstlerische Endprodukt aus, welche Geschichten werden aus welchen Perspektiven erzählt?

Was für Grundsätze gelten im Theaterbetrieb, um Machtmissbrauch vorzubeugen, und wie werden diese umgesetzt?

Mit der vielfältigen Partizipation der Teilnehmenden sollte die Weiterentwicklung der Toolbox vorangetrieben werden

Um die Entwicklung dieser Toolbox anzutreiben und zum Austausch mit Akteur*innen der Branche zu gelangen, hat FemaleAct zum Roundtable, eingeladen, wo Verteter*innen aus Theaterbetrieben, der Kulturförderung, Ausbildungsstätten und Verbänden eingebunden wurden. Die Teilnehmenden haben an dieser Veranstaltung einen von FemaleAct entwickelten Fragenkatalog diskutiert. Wichtige Fragestellungen waren dabei: Wie ist die Geschlechterverteilung an unterschiedlichen Positionen? Wie sieht das künstlerische Endprodukt aus, welche Geschichten werden aus welchen Perspektiven erzählt? Was für Grundsätze gelten im Theaterbetrieb, um Machtmissbrauch vorzubeugen, und wie werden diese umgesetzt? Mit der vielfältigen Partizipation der Teilnehmenden sollte die Weiterentwicklung der Toolbox vorangetrieben werden. Die Veranstaltung wurde von Dr. Andrea Zimmermann (Zentrum für Geschlechterforschung an der Universität Bern) moderiert. Mit ihr steht FemaleAct im regen Austausch, und für die Pilotphase der Toolbox ist eine Zusammenarbeit angedacht.

Haben wir überhaupt non-binäre Rollen?“, lautet die dringliche Frage.

Der Vorstand von FemaleAct arbeitet ehrenamtlich, schätzt finanzielle Unterstützung und freut sich über Interessierte, die sich anschliessen und mitarbeiten möchten. Auf der Website gibt es ein Manifest, in dem die Anliegen von femaleAct nachzulesen sind. Dr. Andrea Zimmermann hat eine Vorstudie zur Gendergerechtigkeit in den Kulturbetrieben in der Schweiz gemacht. Die Theater- und Musiklandschaft habe ein sehr ähnliches Bild gezeigt wie die bereits erwähnte Studie, und Non-Binarität komme gar nicht erst vor, meint sie. „Haben wir überhaupt non-binäre Rollen?“, lautet die dringliche Frage. Der Austausch von FemaleAct fördert konkret dieses Erkennen von strukturellen Problematiken. Mithilfe der wissenschaftlicher Basis kann man einen Misstand aufspüren und dabei erkennen, dass es sich nicht nur um diffuse Gefühle oder Annahmen handelt, sondern eben um faktische Misstände. Dies führt dazu, dass sich Frauen weniger hinterfragen und sich zu Weiterbildungen und Umschulungen gezwungen fühlen müssen, die nur wegen dem fälschlicherweise geringen Angebot an Rollen nötig erscheinen. Genau solche Beispiele sind verheerend. Es geht schliesslich darum, eine Rolle zu erhalten aufgrund der schauspielerischen Qualität und nicht des Geschlechts. Dabei geht es aber nicht nur um die grossen Hauptrollen, sondern auch um Nebenrollen, die teils nur einen oder wenige Drehtage in Anspruch nehmen. Auch dort sollen sich die Schauspieler*innen gesehen fühlen. Daneben gebe es, insbesondere in Bezug auf Minderheiten wie People of colour oder Queere Menschen, sogenanntes Pinkwashing bei der Rollenverteilung.

Ein weiteres Tool von FemaleAct, das derzeit in Entwicklung ist, ist der Kalkulator. Mithilfe dessen können bei Gegenverhandlungen Kosten aufgezeigt werden, die durch Proben ausserhalb regulärer Betreuungszeiten entstehen. So kann darauf hingewirkt werden, dass bei der Gestaltung von Probeplänen auf die Vereinbarkeit von beruf und Familie geachtet wird – oder aber, dass in Gagen Ausgaben für Kinderbetreuung berücksichtigt werden. Darunter fällt auch das Gebot, dass Probezeiten nicht geteilt werden sollen, was an Stadttheatern noch sehr gängig ist, da das Familienunfreundlich sei. Es soll dafür eigens eine App entwickelt werden. Der Kalkulator dient als Übersetzung und wird als Tool nach interner Testung bald veröffentlicht werden.

Ensemble Magazin bedankt sich bei FemaleAct für das spanndende Interview und ihre wertvolle Arbeit!

 

 

 

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