Stadt Theater Bern: Probenleiter bleibt unangetastet, nicht wie seine Opfer
Medienspiegel: Die Reportage über die sexuellen Übergriffe durch einen Probenleiter im Stadttheater Bern in der Zeit Schweiz lösten ein überregionales Medien-Echo aus. Hier ein paar Stimmen.
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Ausschnitt Interview Tagesanzeiger
«Ein geschützter Raum für Machtmissbrauch»
Es sei unhaltbar, dass der beschuldigte Probenleiter bei Bühnen Bern im Haus bleiben könne, sagt Salva Leutenegger vom Berufsverband für Darstellende Künste.
Frau Leutenegger, was macht es mit Ihnen, wenn Sie von so einem Vorfall wie jenem am Bern Ballett hören?
Leider schockiert mich das überhaupt nicht mehr. Das Thema ist seit Jahren omnipräsent, ändern tut sich überhaupt nichts. Wir vom Verband haben 2020 eine Umfrage durchgeführt, bei der herausgekommen ist, dass 79 Prozent der darstellenden Künstlerinnen und Künstler Belästigung oder Machtmissbrauch erlebt haben.
Es muss doch Richtlinien geben, wie weit die körperliche Nähe, die beim Tanz gegeben ist, in Trainings und Proben gehen darf?
Wir haben mit dem Bühnenverband einen allgemeingültigen Verhaltenskodex und eine anonyme Plattform aufbauen wollen, aber leider waren die meisten Theaterleitungen nicht bereit zu einer Mitarbeit.
Weshalb?
Die Choreografen und Regisseure oder Direktoren, es sind vor allem männliche, fühlten sich eingeengt. Die hierarchischen Strukturen verunmöglichen solche Regelungen. Diese Menschen werden in Theaterstrukturen auch heute noch als Halbgötter und Genies angesehen. Es geschieht alles unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit. Im Namen der Kunst muss alles erlaubt sein, so ihr Credo.
Wie beurteilen Sie die Vorwürfe am Bern Ballett?
Uns waren die Vorfälle bekannt. Leider waren uns aber die Hände gebunden. Wir können der Theaterleitung keine Vorgaben machen, aber sie wollen mit uns auch nicht zusammenarbeiten, um den Machtmissbrauch zu verhindern. Unser oberstes Gebot ist es, die Betroffenen zu schützen. Einerseits vor Machtmissbrauch, andererseits aber auch vor Kündigungen. Denn wenn ein Fall publik wird, wenn sich eine Betroffene äussert, droht ihr oftmals die Kündigung.
Wenn Ihnen im Umgang mit der Leitung die Hände gebunden sind, was kann der Verband konkret tun?
Wir versuchen am Thema dranzubleiben, Druck auszuüben und gleichzeitig die Künstlerinnen und Künstler zu stärken. Es würde uns helfen, wenn kantonale Subventionsgeber in den Verträgen mit den Häusern entsprechende Vorgaben machen würden.
Es gab diverse Compagnien, in denen es ähnliche Vorkommnisse gab. Wieso ist das Tanzumfeld besonders anfällig für Belästigung?
Es ist ein sehr körperlicher Beruf, und zum Probentraining gehören auch Berührungen. Aber es gibt einen professionellen Umgang mit Berührungen und einen missbräuchlichen. Die fehlbaren Choreografen und Probenleiter respektieren diesen Unterschied oft ganz bewusst nicht.
Wie meinen Sie das?
Machtmenschen, die ihre Macht missbrauchen wollen, suchen sich oft vulnerable Menschen aus.
Und die Tänzerinnen?
Für sie ist es oft schwierig, sich gegen die Grenzüberschreitungen zu wehren. Sie beginnen vielleicht mit drei Jahren mit Balletttraining und haben immer eine Machtperson über sich, anfangs die Ballettlehrerin. Das zieht sich weiter in ihrer Karriere, später ist es ein Choreograf oder ein Probenleiter. Diese Tänzerinnen sind meist sehr jung und noch nicht gefestigt, wenn sie in ein Ensemble kommen. Ein Bewusstsein dafür, wann etwas Missbrauch ist, fehlt anfangs manchmal.
Werden in der Ausbildung Themen wie Missbrauch und Übergriffe angeschnitten?
Leider kaum. Was diese jungen Tänzerinnen und Tänzer im Namen der Kunst durchmachen müssen, ist erschreckend. Die psychischen Auswirkungen sind enorm. Diese Narben bleiben. Leider gehen die konkreten psychischen Folgen, mit denen die Betroffenen lebenslang zu kämpfen haben, im Medienrummel um #MeToo oft unter.
Wie oft hören Sie in Ihrer Funktion von solchen Fällen?
Leider passieren mehr Fälle, als dass wir davon hören. Manche Tänzerinnen trauen sich aus Angst vor Kündigungen nicht einmal, zu uns zu kommen. Eine Tanzkarriere ist sehr kurz, und die Tänzerinnen sind enorm unter Druck. Mit einer Aussage setzen sie viel aufs Spiel, oft entscheiden sie sich dafür, nichts zu riskieren, um ihre Karriere zu schützen.
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SRF-Regionaljournal
Trotz Belästigungsvorwürfen: Ballett-Probeleiter arbeitet weiter
Der Probeleiter des Ballettensembles von Bühnen Bern soll mehrere Tänzerinnen wiederholt sexuell belästigt haben. Trotzdem darf er weiterarbeiten. Wir fragen, was Bühnen Bern unternimmt, und was Fachleute von aussen zur Situation von Tanzschaffenden sagen. Hier gehts zum Beitrag.
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Ausschnitt aus „Der Bund“
„Die Bühnen Bern haben gehandelt – aber nicht konsequent genug“
Der Entscheid, den Probenleiter trotz klarer verbaler sexueller Belästigung wieder einzustellen, bedroht den Ruf dieser wichtigen Berner Kulturinstitution.
Die Direktion der Bühnen Bern reagiert unverzüglich, als eine Tänzerin im Ballettensemble im Frühjahr 2021 meldet, der Probenleiter habe sie wiederholt sexuell belästigt. Die Direktion stellt den Angeschuldigten frei. Sie beauftragt die anerkannte Beratungsfirma BeTrieb, die Vorwürfe zu untersuchen.
Der Untersuchungsbericht kommt zum Schluss, dass der Probenleiter Tänzerinnen im Ensemble verbal sexuell belästigt hat. Gemäss BeTrieb sind die Entgleisungen aber strafrechtlich nicht relevant gewesen. Zu bedenklichen körperlichen Übergriffen sei es nicht gekommen.
Dann treffen die Bühnen Bern eine heikle Entscheidung. Nach einem halbjährigen Provisorium stellen sie den Probenchef wieder ein. Obwohl im hauseigenen Verhaltenskodex steht, dass unter anderem verbale und psychische Diskriminierung nicht toleriert werde. Doch die Direktion vertraut auf das «Potenzial der Besserung».