Von Tauben und blinden Flecken

(dh) Theaterpädagogik. Ein Begriff der weit mehr beinhaltet als das Anleiten von Schul- und Laientheater. Das „Ensemble“ hat Vertreter:innen dieses vielfältigen Bereichs getroffen, dabei Kombucha geext und fast Cappuccino verschüttet.

Seraina Dür hat in Zürich Theaterpädagogik studiert und unterrichtet dies mittlerweile auch im Master an der ZHdK. In ihrer Küche bietet sie mir ein selbstgebrautes Getränk an. Es riecht und schmeckt säuerlich –  sicher gesund, denkt sich die wohlerzogene „Ensemble“-Redakteurin. Das Gebräu ist schnell geext, schnell vergessen: denn nun erzählt mir die Theaterpädagogin und Künstlerin von Bruno, Vinciane, Iris und Camille. Sie sind die Mitbegründerinnen der Compagnie von Seraina Dür und dem freischaffenden Dramaturgen Jonas Gillman. Kennengelernt, angenähert, befreundet und schliesslich verwandt haben sie sich anfangs in der Chorgass – der Nebenspielstätte des Theater Neumarkt – in Zürich. Während sieben Monaten haben sie hier Lesungen gehalten, performt, den Raum belebt und beflattert. Haben sich beringt, haben zusammen Porridge und Sauerkraut gegessen. Milben und Zecken wurden mittels Nackentröpfchen vermieden. Milben und Zecken? Ja. Denn die Mitbegründerinnen des „Parlament der Dinge, Tiere, Pflanzen und Algorithmen“, wie sie sich seither nennen, waren vier Tauben. Vier Zürcher Stadttauben. Mittlerweile wurde das sechsköpfige Ensemble ins Theater Basel, ins Zürcher Helmhaus und die Gessnerallee eingeladen.

Gummihandschuhe gegen den Ekel

Aber der Reihe nach. Als Theaterpädagogin versteht sich Seraina Dür auch als Kunstschaffende an der Schnittstelle zwischen Theater, Performance und Bildender Kunst. Oft gehe sie dabei der Frage nach, wie Gemeinschaften anhand künstlerischer Prozesse gestärkt werden können. Wie und wo könnte eine Art Verständigung, eine Art lustvollen Zusammenlebens, eine Art Kunst zwischen den verschiedenen Akteur:innen stattfinden? In diesem Falle zwischen Stadtmensch und Stadttaube? Über diesen Fragen wurde das Projekt „Theater als Taubenschlag“ ins Leben gerufen. Seraina Dür und Jonas Gillman setzten sich zuvor intensiv mit Biologinnen und Wildhütern, mit Philosophinnen und Taubenzüchtern auseinander, bis sie schliesslich vier noch nackte Jungtauben in einer Kartonschachtel im Neumarkttheater willkommen hiessen. Von nun an erklären sie die Chorgasse zum Taubenschlag. Der Raum gehört erstmal ganz Bruno, Iris, Vinciane und Camille. Sofort wird eine Flugklappe gebaut, damit die Tauben rein- und rausfliegen können. Seraina und Jonas allerdings werden erstmals viel putzen, viel Taubendreck wegkehren.

„Proben bedeutete für uns putzen. Ohne Reinigungsarbeiten liesse sich unser Projekt gar nicht erzählen. Es bedeutete für uns stets einen verantwortungsvollen Umgang zu halten, mit dem, was uns umgibt“, erinnert sie sich. Natürlich habe sie sich anfangs auch geekelt. Gerade vor dem vielen Ungeziefer. Doch später habe sie es verletzt, wenn sie bemerkte, dass andere Menschen auch sie eklig fanden, weil sie mit Tauben zusammenlebte.

Auch Würmer und Asseln waren Teil des Miteinander

In der Tat wurde das Zusammenleben immer inniger: Gemeinsam mit vier Tauben machten Dür und Gillman das Theater zum Übungsfeld um ein Zusammenleben mit „mehr-als-menschlichen Kompliz:innen“ zu erproben. Aus Taubendreck und Bioabfall entstand ein Komposthaufen. Diesen beherbergten sie mit 7000 Würmern und Asseln, die den Kompost in feinsten Humus umwandelten. Darauf wiederum zogen sie Spinatsetzlinge, welche sie gemeinsam mit Gästen und Tauben spiesen.

Ok. Aber was hat das alles mit Theaterpädagogik zu tun?

Eine Nachbarin hat’s verstanden und bringt Sauerkraut mit. Auch hier arbeiten sich Milchsäurebakterien fleissig für uns durch den Weisskohl. Ausserdem wird Kombucha und Kefir angesetzt, der mit Gästen und dem – selbstverständlich gesamten – Ensemble geteilt wird. Unser Alltag sei eine ständige Interaktion zwischen den Arten. Es gehe ihnen darum in Beziehung mit der Umwelt zu treten, erklärt Seraina Dür. Den Blickwinkel zu ändern, hin zu einem liebevolleren Miteinander. Wegzukommen von der Illusion Mittelpunkt zu sein. Weg von dominanten Verhaltensweisen, die trennten und Grenzlinien schafften, die so nicht existierten.

Wie waren die Reaktionen?

Jeden zweiten Dienstag wurden Zuschauer in den Theater-Taubenschlag der Chorgasse geladen, um gemeinsam Texte über Tauben zu lesen. Währenddessen flogen Iris, Bruno & Co. durch die Luke rein und raus, setzten sich auf Bücher oder Stellwand, taten, was Tauben eben so tun und schienen sich sichtlich wohl zu fühlen. So entwickelten sich zwei Monate performatives Zusammenleben. Nach einem weiteren Schluck -aha, Kombucha also- muss die Frage gestellt werden:

Aber Seraina. Tauben sind nun mal Tauben und Menschen Menschen. Ihr habt Euch beringt, habt zusammen mit den Tauben Sauerkraut und Porridge gegessen, damit Eure Mägen die gleichen Bakterien beheimaten um Euch miteinander verwandt zu machen. Hand aufs Herz: Habt Ihr Euch nicht ab und zu auch der Lächerlichkeit preisgegeben?

Sie lacht: „Klar haben wir das! Wir sind auch anständig naiv. Die Basler Zeitung hat geschrieben, es habe uns wohl von der ganzen Taubenkacke das Hirn verätzt. Die NZZ hingegen nannte uns „Science-Fiction im Alltag“.

Nun zeigt mir Seraina ein Video: Taube Camille pickt auf einem Tisch immer wieder eine Löwenzahnblume aus einer Vase und wirft sie Seraina hin. Wieder und wieder blickt sie sie danach auffordernd an. Wie ein Hund, der ein Stückchen apportiert. Seraina Dür: „Niemand kann mir erzählen, dass die Taube hier gerade kein Spiel mit uns erfunden hat! Wir haben einfach versucht, mit ihnen in Beziehung zu treten. Und den Leuten machts Freude – und uns auch!“ Stimmt. Anständig naiv, aber sehr sympathisch. Ich schenke mir ein weiteres Glas säuerliches Kombucha ein. Irgendwie beginnts mir zu schmecken.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert