Rechtsgutachten zu Corona-Vertragsklauseln

(bg) In den letzten Monaten gab es einige Unsicherheiten bei Vertragsklauseln betreffend corona-bedingten Absagen. Ein vom SzeneSchweiz in Auftrag gegebenes Gutachten soll nun Klarheit schaffen.

Ein Engagement in Zeiten der Pandemie

Der erste Lockdown war vorbei, als Jan im Juni für eine neue Stadttheater-Produktion angefragt wurde. Es schien ein schwieriges Jahr zu werden und auch für 2021 stand noch alles in den Sternen. Jan hatte grosse Lust auf diese Produktion und war froh, in dieser Zeit spielen zu dürfen. So einigte er sich mit dem Theater auch auf Konditionen, zu denen er in normalen Zeiten vermutlich nicht unterschrieben hätte.

Als Jan ins Theaterbüro trat, um den Vertrag abzuholen, sagte man ihm, er müsse hier und jetzt unterschreiben. Das fand Jan komisch, er nahm sich aber Zeit, vor Ort den Vertrag genau zu studieren, bevor er seine Unterschrift daruntersetzen wollte. Auf der letzten Vertragsseite entdeckte er eine pandemiebezogene Klausel, mit der er nicht einverstanden war: Im Falle einer Absage der Produktion wird dem GAST die Probenpauschale sowie ein Drittel der Vorstellungsgagen vergütet.

Jan unterschrieb nicht, machte Fotos vom Vertrag, verliess das Büro und wollte diesen Absatz prüfen lassen. Er wendete sich an den SBKV.

Ein Gutachten für den SBKV

Jan war nicht der Einzige, der beim SBKV um Rat fragte. Seit Beginn der Pandemie haben viele Mitglieder ihre Verträge an den Verband geschickt. Zur optimalen Beratung der Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Vertragsverhandlungen, wie auch zur Beurteilung von Prozessaussichten, hat der Schweizerische Bühnenkünstlerverband im vergangenen Oktober ein Gutachten beantragt.

In jenem Gutachten geht Prof. em. Dr. iur. Dr. h.c. Thomas Geiser der Frage nach, wie Vertragsklauseln in Verträgen zwischen Kulturinstitutionen und Künstlern zu beurteilen sind, welche die Rechtsfolgen bei einer Vertragsauflösung infolge „höherer Gewalt“ respektive bei Absagen oder Verschiebungen von Produktionen regeln. Yolanda Schweri hat das Gutachten für die Verbandsmitglieder zusammengefasst (Auszüge folgend in kursiver Schrift) Das Gutachten bestätigt unter anderem, dass Klauseln in Arbeitsverträgen, die bei pandemiebedingten Absagen eine Gagenauszahlung ausschliessen, nichtig sind.

Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers

Professor Geiser erl utert in seinem Gutachten, was passiert, wenn ein Arbeitsvertrag wegen Unm glichkeit gar nicht mehr erfüllt werden kann, z.B. wegen einer pandemiebedingten Theaterschliessung. Auch Fälle von „höherer Gewalt“, wie z.B. Naturkatastrophen, gehören zum betrieblichen und wirtschaftlichen Risiko eines Arbeitgebenden, selbst wenn diese daran keinerlei Verschulden trifft. Zum Unternehmerrisiko gehören also auch behördliche Verbote oder Schliessungen. Unternehmen können dafür allenfalls Ausfallentschädigungen oder Kurzarbeitsentschädigungen beantragen.

Wenn eine Veranstaltung wegen behördlicher Verbote abgesagt werden muss, bleiben die Arbeitgebenden also gesetzlich dazu verpflichtet, den vertraglich vereinbarten Lohn zu bezahlen, obwohl diese die Arbeitsleistung der Künstlerinnen und Künstler gar nicht mehr „annehmen“ kann (Art. 324 des Obligationenrechts). Dies gilt natürlich nicht, wenn die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung in der Person des Arbeitnehmenden, der Arbeitnehmerin liegt: Sind sie an Corona erkrankt und arbeitsunfähig, so gilt das gleiche wie bei sonstigen Krankheiten (beschränkte Lohnfortzahlungspflicht oder Krankentaggeldversicherung, keine Lohnfortzahlung bei Verträgen unter 3 Monaten). Müssen die Arbeitnehmenden in Quarantäne bleiben oder können diese wegen der Pandemiebestimmungen nicht aus dem Ausland anreisen, haben die Arbeitnehmenden auch keinen Lohnanspruch.

„Höhere Gewalt“ im Arbeitsvertragsrecht

In vielen Verträgen finden sich Regelungen, was passiert,wenn ein Vertrag wegen höherer Gewalt nicht mehr erfüllt werden kann. Das ist zulässig. Das allgemeine Vertragsrecht im Obligationenrecht sieht vor, dass ein Vertrag bei Unmöglichkeit wegen höherer Gewalt dahinfällt und beide Vertragsparteien von ihrer jeweiligen Leistungspflicht befreit sind; abweichende Vereinbarungen sind möglich.

Im Arbeitsvertragsrecht (Art. 319ff. des Obligationenrechts) gelten jedoch Spezialregeln, die vorgehen. Hier wird ausdrücklich eine andere Risikoaufteilung zwischen den Vertragsparteien vorgesehen; die Arbeitgebenden tragen das Risiko, auch wenn sie keine Schuld daran trifft. Art. 324 OR (siehe oben) ist zwingendes Recht, es kann nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgeändert werden.

In Jans Fall also widerspricht, gemäss Gutachten von Professor Geiser, die Kürzung der Gage auf 30% der einseitig zwingenden Bestimmung von Art. 324 OR und ist deshalb nichtig.

Unterschiedliche Rechtsmeinungen

Juristisch gesehen gäbe es allerdings zur Lohnfortzahlungspflicht im Pandemiefall unterschiedliche Rechtsmeinungen, erklärt Marc Meyer, stellvertretender kaufmännischer Direktor und Rechtskonsulent vom Opernhaus Zürich. „Begründet wird die Verneinung der Lohnfortzahlungspflicht damit, dass nicht jedes Risiko automatisch den Arbeitgebenden auferlegt werden könne und es sich bei der Pandemie um einen objektiven Grund handle, für den die Arbeitgebenden nicht einzustehen haben*. Dies steht im Gegensatz zu Fällen, die in die Risikosphäre und Verantwortung der Arbeitgebenden fallen, wie wenn z.B. Lieferanten ihre Leistung nicht erbringen und die Arbeitgebenden deshalb die Mitarbeitenden nicht beschäftigen können.

Was juristisch bezüglich Lohnfortzahlungspflicht und Covid-Klauseln rechtens ist, werden zu einem späteren Zeitpunkt die Gerichte entscheiden müssen. Erst dann wird es abschliessende Klarheit geben.

Entgegenkommen und Abwägen

Jan und das Theater haben sich dann schliesslich geeinigt, nach Rücksprache mit SECO und dem SBKV und mit einer schriftlichen Bestätigung seitens Theater, dass diese Spezialklausel (bei Ausfall nur 30% der Vorstellungsgage) nur selbständig Erwerbende betreffen würde (also Jan nicht). Zu einer Vorstellung ist es bis heute nicht gekommen. Die ausgefallenen Shows wurden ihm zu 80% vergütet.

Als Arbeitnehmende haben Sie grundsätzlich ein Recht auf volle Lohnfortzahlung (oder allenfalls auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn Sie damit einverstanden sind). Und Sie könnten diesen Lohn auch einklagen. Sie können aber – sollte es wirklich zu einer Absage kommen – im Nachhinein mit den Arbeitgebenden verhandeln, um ihnen entgegen zu kommen, zum Beispiel, indem Sie ihnen längere Zahlungsfristen gewähren oder sogar bereit sind, auf einen Teil Ihres Lohns zu verzichten, wenn dafür bei einem späteren Engagement eine höhere Vorstellungsgage bezahlt wird.

Es gäbe viele Lösungsmöglichkeiten; aber diese dürften nicht schon im Voraus vertraglich abgemacht werden, dies sei unzulässig. Aber auch wenn man vielleicht, aus rechtlicher Sicht, gemäss Gutachten von Professor Geiser, am „längeren Hebel“ sein mag, schützt diese Rechtslage nicht vor moralischem Druck, später kein Engagement mehr zu bekommen, eine langjährige Zusammenarbeit kaputt zu machen, oder vor der Sorge, damit einen geschätzten Produzenten finanziell zu ruinieren.

* vgl. dazu ZSR, Sondernummer Pandemie und Recht 2020, S. 169; COVID-19, Ein Panorama der Rechtsfragen zur Coronakrise, S. 43 ff.

Link zu Yolanda Schweris Zusammenfassung des Geiser-Gutachtens

Beratung und Rechtschutz für Mitglieder

Wer Fragen zu Vertragsinhalten und speziellen Corona-Klauseln hat, nicht sicher ist, ob der Inhalt seines Arbeitsvertrags so zu unterschreiben ist oder wofür es sich lohnt zu verhandeln, findet Rat bei beim SBKV. Der Verband unterstütz seine Mitglieder mit Beratung und Rechtschutz:

Tel.: +41 44 380 77 77

Mail: sbkv@sbkv.com